Nun, da wir jetzt vollzählig anwesend sind, ähm, lassen wir uns die Sache nochmals durch den Kopf gehen. Wir wollen durchaus selbstkritisch sein und alles hier, jeden Spielstein, jeden Würfel, jede einzelne Karte, ja, selbst unser Denken und Urteilen, auf, nun, auf mögliche Mängel hin durchleuchten.
Hull versuchte seinem Auftritt mit ernster Miene mehr Bedeutung zu verleihen. Mehr als in irgendeiner Weise angebracht gewesen wäre. Umso eher musste man sich der Sorge widmen, die ganze Veranstaltung könnte ein wenig ins Lächerliche abgleiten. Diese Gefahr bestand durchaus und Hull war sich ihrer auch sehr wohl bewusst.
Lisa konnte sich als erste vom Bann der ernsten Worte lösen: Nun wir, mein Bruder und ich, wir sind deiner Einladung zum Kartenspiel gerne gefolgt – ja, und jetzt, sind wir hier. Aber ich weiss nicht, Hull, was für ernste Sachen du – durchleuchten möchtest. Wir sind bloss zu dritt. Also lasst uns Spass haben.
Hull konnte seine Enttäuschung über diese Direktheit, mit der Lisa seinen Auftritt demontierte, perfekt verbergen. Er bedankte sich gar mit einem Lächeln für ihren „wertvollen Diskussionsbeitrag“. Luca rutschte auf seinem Stuhl hin und zurück und liess ein gequältes Seufzen vernehmen.
Luca, du wolltest dich äussern?
Hull, worauf willst du hinaus? Mir ist klar, dass wir besser werden müssen. Eigentore vermeiden. Ich meine, wir müssen komplexer werden, sozusagen unverwechselbare Charaktere entwickeln, wie in einer Fernsehserie, zum Beispiel Dr. House. Lisa, nimm dir 13 zum Vorbild, oder so. Nur ein Vorschlag. Wir brauchen Profil, Emotionen, eine Zentrale die das alles steuert und die Ergebnisse mit der Rohrpost…
Luca, was du meinst – ja, das geht auch nicht so ohne weiteres. Nimm 13 bei Dr. House, wenn du das Beispiel schon bringst. Hast du eine Ahnung, was so eine klasse Schauspielerin kostet? Ihre Gage für fünf Minuten sprengt unser Budget für fünf Jahre bei weitem. Wir haben doch schon an anderer Stelle erwähnt, dass wir dringend sparen müssen. Und ja, deshalb sind wir so, wie wir sind. Nichts gegen Emotionen, die haben wir auch. Was uns fehlt, das ist viel mehr ein smartes Drehbuch.
Ein Drehbuch? Ihr Spinner. Ich bin hier, weil ich spielen will. Los, verteil endlich die Karten. Black Jack oder gar nichts.
Lisa, lass mal. Wir spielen gleich. Aber Hull möchte mit uns noch was ganz, ich weiss auch nicht, Grosses? machen.
Luca, Lisa, ich verstehe eure jugendliche Ungeduld. Ich war früher genauso. Aber glaubt mir mit dem Alter kann man seinen Horizont noch ganz anders als mit weiten Fussmärschen durchs Unterholz erweitern.
Hull, was immer du meinst. Aber lass uns mal auf deine Worte zu Beginn zurückkommen.
Ja?
Selbstkritik.
Ja…?
Also, kürzlich meintest du – ich denke, das ist ziemlich wörtlich zitiert – die Qualitätspresse und unser Fernsehen würden Berichte manipulieren. Zu wessen Ungunsten wurde nicht ganz klar, aber es klang drohend und irgendwie verschwörungstheoretisch.
Verschwörungstheoretisch? Ich? Du meine Güte, da hat jemand aber was in den falschen Hals bekommen. Ich meinte das doch nur hypothetisch, völlig abstrakt, mehr von den technischen Möglichkeiten her, also Bildschnitt zur falschen Zeit und Zack ist ein Politiker Ausschussware und man braucht einen neuen. So was kommt doch vor, oder nicht? Habe ich etwa konkrete Namen genannt?
Nein, Hull, aber du solltest wissen, alles was du sagst, ist potentiell verschwörungstheoretisch.
Alles? Spinnst du? Dann bleibt ja nur noch Schweigen.
Schweigen – und dann spielen. Wie lange warte ich nun schon, auf die Black Jack Karten? Mein Einsatz liegt schon eine Weile auf dem Tisch.
Bei Lisa verhielt es sich augenscheinlich so, dass die Basisemotion Wut die emotionale Kommandozentrale in Bälde und Gänze zu erobern schien. Um das festzustellen, brauchte man kaum die zweifellos ganz ungeheuren Fertigkeiten eines Pixar-Drehbuch-Autors.