Luca trat mit einem Lied auf den Lippen in Hulls Kontor ein und das Lied ging so:
You must remember this
A kiss is just a kiss
A sigh is just a sigh
The fundamental things apply
As time goes by…
Auf den ersten Blick schien gar keiner anwesend zu sein. Doch dann entdeckte er Hull in einer recht eigenwilligen Haltung auf seinem Bürostuhl sitzend. Nicht wie üblich aufrecht den Blick entschlossen in die Pixel seines Computers gerichtet. Nein, sein Oberkörper vollzog eine beinahe schlangenfömige Beugung nach links und sein Kopf, ja wahrlich, sein Kopf steckte in der mittleren Schublade seines Designerpults aus Chromstahl und Glas.
Zwei Dinge schossen Luca durch den Kopf: Wie beweglich der alte Knacker doch war. Und fast gleichzeitig: Was um alles auf dem Globus suchte Hulls Kopf denn in einer Schublade?
Hull, geht’s dir gut? Was machst du da – drin?
Ah, Luca, du könntest mir behilflich sein.
Okay, soll ich dich da rausziehen?
Nein, bloss nicht. Das wäre das Ende.
Das Ende? Luca schien ratlos.
Ja, dann würde ich es nie finden.
Aber was suchst du denn da drin?
Den Eingang zum Wurmloch, das mich in Toms Parallelwelt führt.
…
Bist du noch da, Luca?
Äh, ich glaub schon.
Kannst du mir nicht bitte mal die Reparatur-Lupen-Brille mit LED-Licht reichen? Die muss da irgendwo auf dem Sideboard rumliegen.
Äh, ja, geht klar. Luca war sich sicher, dass Hull nun endgültig den Verstand verloren hatte. Hier ist das Ding. Soll ich’s dir in die Schublade reinschieben?
Ja, rechts von meinem Kopf sollte noch ein bisschen Raum dafür sein. Ich nehme sie dann zwischen Oberlippe und Nase, ziehe sie näher ran ans Wurmloch und dann…
…Hull, möchtest du nicht erstmal den Kopf aus dieser blöden Schublade ziehen und mir erklären, was der Unsinn soll?
Luca! Von dir hätte ich mehr Sachverstand und Sensibilität für die Nöte der Mitmenschen erhofft. Wirklich. Es bringt nichts mehr, einfach behäbig und dumpf dem thermodynamischen Zeitpfeil entlang zu wandern. Wir müssen in kühnem Bogen diese dickflüssige Gegenwart verlassen. Nur so werden wir erfahren, was aus Lisa geworden ist.
Lisa? Du meine Güte. Ja, die hängt mit dem Yogalehrer ab. Was stört uns das denn?
Dieser Yogalehrer hält sich eben gar nicht mehr in unserem Universum auf. Ich bin mir sicher, er hat Lisa entführt. Und jetzt schmort deine Schwester in seiner üblen Parallelwelt und kann nur auf dem Umweg über ein ultraschnelles Wurmloch gerettet werden. Deshalb müssen wir da durch.
Okay, eine normale Zeitreise wäre wohl ein Klacks dagegen, was?
Das kannst du laut sagen. Ähh, jetzt hab ich’s!
Was?
Die Reparatur-Lupen-Brille sitzt richtig. Nun sehe ich sternenklar! Luca, das ist fantastisch. Die Zeit verläuft perfekt wellenförmig, um nicht zu sagen fraktal. Sie kommt mir vor wie ein Brokkoli, der wächst in irrem Tempo und verästelt sich so selbstähnlich, dass man meinen könnte, ein jeder Tag sei wie der andere und meine Güte – kurz bevor diese Schublade davon überquillt, fängt das irre Theater von vorne an. Eine Zeitschleife ist wirklich ein Kindergeburtstag gegen das, was sich hier drinnen abspielt.
Hull?
Ja?
Komm, jetzt da raus. Wir müssen zum Arzt.
Zum Arzt…?
Hm…
Nein, ich hab’s gleich. Hier ist der Eingang zum Wurmloooooo…
Luca traute seinen Augen und Ohren nicht. Mit einem deutlichen Überschallknall verschwand der ganze Hull in der doch recht kleinen Schublade, an deren Front sich Eiskristalle zu bilden begannen. Natürlich wuchsen sie brokkoliartig, wie sonst.
Er dachte zuerst: Das ist jetzt doch eine Nummer zu dick aufgetragen.
Dann: Hm, vielleicht habe ich das alles nur geträumt? Woher könnte man das noch zuverlässig wissen? Heutzutage, wo die Quantenphysiker die Schwarzen Löcher mit ihren gigantischen Jets in den Schwarzschild-Koordinaten herumtanzen lassen, als wären es nur kleine Krümel, die man vom Tisch wischt…
Die Welt ist unzuverlässiger geworden, jedenfalls.