Hull lehnte sich an den Türrahmen, blickte auf die leere Terrasse, beobachtete die winzigen Eiskristalle auf den hübschen Tischchen, wie sie langsam in der noch kühlen Morgensonne dahinschmolzen.
Nichts los, Hull. Auch heute kommt nicht ein Eichhörnchen.
Hm.
Eigentlich wundert mich das nicht. Einskommadrei Grad, da nützt auch die Sonne nichts. Lisa hob die Schultern, die Arme…, malte dergestalt ein etwas länger dauerndes Fragezeichen in die Luft.
Hm.
Luca hat Recht, dass er sich frei genommen hat. Unser Café ist ein Riesenflop.
Warte mal, warte nur. Irgendwann kommt der erste Gast.
Hull, wir warten jetzt schon die ganze Woche. Nicht einer, nicht einer…keiner.
Hm.
Hull beobachtete die Leute, dick eingepackt in Wintermäntel, wie sie eilig vorbeigingen. Sie ignorierten das Café, alle ausnahmslos. Keiner schaute auch nur hin. Das schien ihm nun ein Wink des Zeitgeistes zu sein, wenn es diesen denn geben würde. Alles schien nur noch Routine zu sein, alles so gewöhnlich. Ein neues Café? Wozu auch, es gab schon dreissig andere und in Zeiten der Pandemie gehen die meisten eh Pleite.
Dann geschah es.
Hull traute seinen Augen nicht so ganz, aber alles deutete nun wirklich darauf hin. Worauf?
Tom? Bist… du es? Wirklich. Hull lächelte. Alter, das ist eine Überraschung, echt. Ich dachte, du bist in der Kla… Klinik?
Tom? Was, das Männchen da soll Tom sein? Lisa versuchte ihrer jungen Haut so etwas wie Stirnrunzeln beizubringen.
Tom setzte sich wortlos an eines der kleinen Tischchen, die wie Spielzeug auf der kleinen Terrasse herumstanden.
Dann sagte er: Hull, irgendwie hast du mich enttäuscht. Wir wollten den ganz grossen Wurf tätigen, den ultimativen, mit dir als Polyhistor in der Hauptrolle. Naja, Tempi passati. Bring mir einen Espresso.
Sofort. Hull ignorierte die Schelte und verschwand im Innern.
Lisa betrachtete Tom noch immer. Wer sind Sie…?
Tom.
Das habe ich gehört. Welcher Tom denn? Ich kenne einen ganz anderen Tom.
Tom warf einen Blick auf Lisa. Er schien nicht gerade bester Laune zu sein. Tut mir leid, wenn ich nicht deinen Erwartungen entspreche. Das tue ich eigentlich nie. Leider, irgendwie, aber was könnte man tun. Man kann ja eben nichts tun. Er schien mehr zu sich selbst zu sprechen.
Sie kennen Hull?
Ob ich Hull kenne!? Ha. Keiner kennt Hull so gut wie ich.
Das wär mir neu. Ich sehe Sie hier zum ersten Mal.
Kannst du zu mir sagen, ich bin Tom.
Das sagten, hast du schon…
…Schliesslich habe ich Hull erschaffen.
He? Lisa schaute sich das schmächtige Männchen an und schien zunehmend verwirrt zu sein. Ich muss mich mal setzen, wenn du erlaubst.
Klar, aber zieh dir ne Maske an oder halte Abstand.
Okay, Tom. Wie, was erschaffen? Du bist doch eher ein bisschen jünger als Hull. Wie könntest du sein Vater…
…Ich bin Schriftsteller.
Aha…?
Hull kam heraus, in der einen Hand sein sagenhafter Espresso, in der anderen hielt er eine kleine Schachtel.
Ich habe gehört, wegen dir sei die Engelhardt ausgetickt. Burnout oder so. Wie hast du das wieder hingekriegt? Ich meine wir reden von Frau Doktor Engelhardt, der renommiertesten Psychotherapeutin weit und breit.
Du meinst diese Assistenzärztin in der Psychiatrie? Nein, nein, der geht es ganz gut. Sie hält sich tapfer, die Einzeltherapien mit ihr sind so was wie Offenbarungen, echte Highlights. Hm, dein Espresso ist wirklich nicht schlecht. Aber reden wir lieber von dir, Hull. Warum hat das denn nicht geklappt?
Was, nicht geklappt? Läuft doch alles prima hier. Schau mal, was ich für dich habe.
Hull öffnete die Schachtel und holte allerhand Kram daraus hervor. Dann rollte er einen Tischläufer aus und stellte vier kleine Blechfigürchen drauf. Sie sahen aus wie Zinnsoldaten, nur aus Blech und ja, Soldaten waren es auch nicht. Eines sah fast aus wie Lisa, eines wie Tom. Aber eher wie jener hübsche Yogalehrer, nicht wie der verrückte Schriftsteller hier. Luca und Engelhardt ergänzten den kleinen Zoo.
Was soll das denn…? Kreischte Lisa.
Warte Lisa. Wir hauchen diesen Vollpfosten etwas Leben ein. Hull stellte einen alten Wecker auf den Tisch, direkt neben die Figürchen, dann drehte er an den Stellrädchen auf der Rückseite der Uhr. Plötzlich schepperte es, der Wecker schlug Alarm.
Auf einmal lachte Tom. Das war jetzt wirklich ganz nach seinem Geschmack. Und er sah, wie der hübsche kleine Blechtom tatsächlich seinen Kopf in Richtung kleine Blechlisa drehte. Und dann sagte Blechlisa tatsächlich: Du, Tom, ich komm gleich in deine Yogastunde. Ich freu mich schon riesig. Es klang – blechern, ja und dünn und jaja, bizarr auf jeden Fall. Aber ihre Stimme war doch deutlich zu hören. Diese abstruse Szene war mit Sicherheit real. Lisa verdrehte die Augen, sie drohte den Verstand zu verlieren.
Aufhören! Das ist doch völlig irre! Hull, du bist ein Idiot. Was sollen diese Blechzombies…?
…Nein, weiter! Das ist klasse, Hull! Hätte nicht gedacht, dass du die Sache so weit treibst. Tom strahlte.
Blechengelhardt schepperte in Richtung Blechluca: Nein, junger Mann, Sie sind hier ziemlich falsch. Ich erwarte jetzt Tom zum Gespräch.
Tom kugelte sich vor Lachen. Das war seit langem sein glücklichster Tag.