Tom – Das Original

Als Luca schliesslich nach Hause schlich, dämmerte bereits der Morgen. Er war nicht nur müde, er ging schon fast im Koma. Umso schwieriger war es für ihn jetzt noch die richtigen Schritte zu tun.

Ja, Hull, auch das, dieses Nachhausestolpern, auch das ist Gegenwart, aber irgendwie nicht so, wie ich’s gern hätte. Gegenwart mit Einwand im Konjunktiv. Findet das wahre Leben etwa unter dem Siegel des Konjunktivs statt? Und die Normalität streicht unter dem Radar, sozusagen unbewusst, nur vorbei?

Hm.

Es ist offensichtlich. Auch wenn ich das nicht gerne eingestehe. Ohne ihn fehlt mir etwas. Hull erst gibt mir das Gefühl, ein Ganzes zu sein. Ich weiss, das klingt abgedroschen. Aber manchmal ist das Leben selbst einfach ein Klischee. Hulls Ideen mögen inzwischen etwas altmodisch sein, oder vielmehr, eigentlich sind sie leider komplett – nutzlos.

Warum lasse ich mich eigentlich immer noch vom alten Hull belehren wie ein Primarschüler. Bin ich dumm, oder. Was bringt es mir denn, an den alten Casting-Zeiten immer wieder anzuknüpfen. Was bringt mir sein Gelaber über Gegenwart als Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Seele.

Genau. Nichts. Aber.

Doch vielleicht ist es genau das! Diese Absichtslosigkeit, dieses selbstverloren Spielerische, das ganz und gar nicht Merkantilistische… Ja, ich glaub, das ist es. Auch Lisa hat dieses zweckfreie Denken und die daraus folgenden Hirnschmalz-Klimmzüge fasziniert. Sogar Tom, ja, auch den…

Wobei, Tom. Die Begegnung mit ihm, ich meine jene zwischen Hull und Tom, die war ja dramatisch – nein, das trifft es nicht. Hm. Lassen wir diese Geschichte lieber ruhen, sie ist zu konfus. Ich verstehe Hull auch gar nicht, wenn er von kürzlichen Begegnungen mit Tom spricht, obwohl er, oder vielmehr die beiden Toms, seit Jahren verschollen sind.

Plötzlich unterbrach eine Hand auf seiner gebeugten Schulter die halbwachen Gedankengänge. Luca drehte sich um, so schnell sein Zustand das erlaubte, und blickte auf die hagere Gestalt neben sich.

Die hagere Gestalt schlechthin.

Tom?

Luca.

Du bist es tatsächlich!

Hör mal, ich bin es leid, immer wieder zu bestätigen, dass ich ich bin. Wer sollte ich sonst sein?

Nun, du bist verschollen, dachte ich.

Ich? Das kann nicht sein, Luca, denk nach. Wenn ich nicht mehr existieren würde, wäre Feierabend. Hulls Labor für immer Geschichte. Ich schreibe doch eure Storys. Das wisst ihr doch alle. Jetzt stellt euch nicht so an.

Ihr? Ich bin nur einer…

…von vielen.

Und was willst du, Tom?

Respekt.

Respekt?

Ja, hör auf, mich schlecht zu reden. Meine Rolle definiere ich selbst – und zwar positiv.

Aber ich führe ja bloss Selbstgespräche, äh, am, am Rande eines Deliriums.

Hm, ich höre sie. Und ich ändere sie. Kapiert?

Okay, okay. Tom?

Luca blinzelte, doch da war niemand.

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