Bartender’s Blues

Und? Was sagst du zu meinen neuen Sachen?

Hast ja einiges geschrieben in letzter Zeit… Naja, teils teils.

Wie, teils teils? Was ist daran nicht gut, Victor, sag’s mir. Du bist schließlich mein Probepublikum und ich will offene, ehrliche Kritik hören.

Was ich alles so bin… Victor legte das Manuskript in Gestalt eines iPhones zurück auf die Theke. Noch’n Espresso?

Hm, ja, mach’ mir noch einen. Aber weich’ mir nicht aus. Sag bitte, was Sache ist. Ich muss mich auf dein Urteil stützen können.

Also, Tom. Gestern hab’ ich im Kino Prometheus von Ridley Scott gesehen. Da kannst du mit deiner Geschichte wahrscheinlich nicht ganz mithalten, würde ich vermuten.

Prometheus in 3D? Ja, cooler Streifen, technisch super gemacht mit tollen Effekten. Und dieser David ist ein Musterknabe von einem Androiden. Aber die Story, Victor, die Story mit diesen Konstrukteuren, was ja auf einen Kreationismus herausläuft. Das ist doch ziemlich billig, ja, fast schon hanebüchen, wenn wir ehrlich sind.

Wen interessiert denn im Ernst die Qualität einer Story bei Science Fiction? Man will Spannung, Action, Horror, endlosen, eiskalten Weltraum, coole Schiffe, böse Aliens und nicht zuletzt Helden, Tom, wahre Helden, in deren Haut man als Zuschauer für ein Weilchen schlüpfen kann. Das will man sehen, Tom. Oder dann eine witzige Persiflage auf so was. – Egal. Also diese Shaw in dem Streifen ist definitiv die neue Ripley. Das kannst du dir schon mal fett hinter die Ohren schreiben. Eine Heldin, die nach all den überstandenen Abenteuern nicht einmal nach Hause will. Das muss man sich erst einmal… Es geht sonst immer schön brav nach Hause. Nee, sie ist eine, die dann noch weiter in die Wahrheit eindringen will. Wow.

Und so schreit das Ganze nach einem Sequel. Toll… Und ich soll mich an so was… ähm, orientieren, oder was?

Victor antwortete nicht, drehte Tom den Rücken zu. Sein Haar glänzte wie schwarze Lackschuhe. Der einzige andere Gast winkte den Barmann heran und sprach ein paar Worte mit ihm, aber so leise, dass Tom nichts davon verstehen konnte. Victor grinste und sagte: Geht in Ordnung. Dann kam er wieder zurück zu Tom.

Was meinst du übrigens damit, wenn du Rosa sagen lässt, ohne Barkeeper ginge es wohl nicht?

Ich? Ich meine gar nichts! Wieso fragst du nicht Rosa? Sie wird schon wissen, warum sie das gesagt hat.

Victor fixierte Tom, schon ziemlich unangenehm mit seinem eigentlich weichen, dunklen Blick. Tom trank seinen Espresso in einem Zug und merkte, dass Victor ihn immer noch anstarrte.

Kann es sein, Tom, dass du dich ein bisschen zu… ähm, ein wenig zu stark mit dieser Geschichte identifizierst?

Wie meinst du das, Vic?

Wie ich’s sage. Ich hab‘ den Eindruck, für dich existiere eigentlich gar nichts anderes mehr. Das Universum scheint leer, abgesehen von deiner Schreibe. Du lebst in deiner Geschichte, du stolperst darin herum. Du schreibst sie nicht mehr, du bist ihr Gefangener. Ich mache mir eventuell Sorgen.

Ach, Victor. Das hab’ ich schon durch. Mit der guten Frau Doktor Voigt, du weißt schon, die Oberärztin in der Klapse. Hab‘ das alles mit ihr besprochen. Und sie hat es, so glaube ich, dann auch kapiert.

Was kapiert…?

Ja, wie das heute so abgeht in der postmodernen Schriftstellerei. Was man, äh, was ich da wirklich tun muss, um authentisch, fiktiv und ähm, ja, natürlich: spielerisch zugleich rüberzukommen. Der Wahnsinn, weisst du, der Wahnsinn ist einfach zur Methode geworden und wenn du mithalten willst, dann musst du da durch. Du musst den Weg gehen, sonst bist du weg vom Blumentopf. Das bedeutet doch nicht, dass ich spinne.

Was soll das jetzt wieder? Tom, nicht jeder Autor ist ein Psychopath oder ein durchgeknallter Vollneurotiker. Nicht alles was Literatur geworden ist, war zuvor eine Wahnvorstellung. Du musst aufpassen, du weißt schon: Realität und Fiktion, Mann. Das sind zwei paar Stiefelchen.

Jaaa, die Voigt sagte auch immer: Herr Ate, versuchen Sie immer zu unterscheiden, was Realität ist und was Sie als Fiktion selbst kreiert haben. Das hab ich intus, Vic. Glaub’ mir, ich hab’ das voll drauf.

Hm.

Der andere Gast erhob sich und schlich unhörbar davon. Tom schaute ihm nach.

Wer war das, Vic…?

Ein Gast, Tom. Ich kenne ihn nicht, falls du das meinst.

Aber wer sollte sich am Nachmittag in der Nirwanabar verirren? Da ist doch nichts los.

Es soll Leute geben, die in Ruhe mal einen Kaffee trinken wollen. Dem Lärm der Stadt entfliehen. Ich dachte, dieser Wunsch sei dir vertraut. – Tom geht’s dir gut?

Vic, was soll die Scheiße? Mir ging’s schon lange nicht mehr so gut. Ich habe einen Vertrag mit einem renommierten Verlag für meinen Roman. Was will ich mehr? Gut, Vorschuss wär’ noch schön. Muss die Rosa mal drauf ansprechen.

In Wahrheit existiert wohl eher Frau Doktor Adele Voigt in der Psychiatrie als die ominöse Lektorin Rosa Schulte-Kötter, dachte Victor. Trauriger Kerl eigentlich. Wovon er wohl lebt? Immerhin kann er sich ab und an unseren Espresso leisten.

Tom hingegen dachte, dass er Victor in Zukunft wohl besser nicht mehr seine Schreibversuche zeigen würde. Er fragte sich auch plötzlich, wozu denn ein Barkeeper so nützlich sein sollte in Bezug auf sein Romanprojekt. Rosa meinte zwar, ohne das Klischee einiger ganz cooler Szenen in einer sehr gediegenen Bar würde die Geschichte deutlich weniger Reiz entfalten. – Hm, echt? Er blickte seinen alten Kumpel auf einmal feindselig an.

Hier sechs Euro.

Das reicht nicht für zwei Espressi, Tom. Du kennst unsere Preise. Gehst du schon?

Ja, Victor. Ich gehe und solange ich mit meinem Projekt beschäftigt bin, komme ich auch nicht wieder. Mach’s gut.

He! Da fehlt noch ein Euro zwanzig! Victor sah der hageren Gestalt nach. Was für ein armer, irrer Kerl. Eine geregelte Arbeit würde ihm womöglich gut tun.

Tom verließ die Bar und schlurfte durch die angrenzende uferlose Hotelhalle. Sein Blick streifte die erhabene Rezeption, wo sich einige Hotelgäste zum ein- oder auschecken tummelten. Da fiel ihm eine Gestalt mit grauem Regenmantel auf. Unangenehm auf. Du meine Güte, das war doch der unscheinbare Gast in der Bar, dieser Flüsterer, der Victor irgendwas mitgeteilt hat. Der graue Mantel drehte sich um und sein bohrender Blick blieb präzise auf Toms Gesicht kleben. Toms Nackenfell sträubte sich.

Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Aber den Kerl muss ich sofort abhängen und das erst noch, ohne aufzufallen. Himmel, was jetzt schon wieder alles im Gange ist…

2 Kommentare zu „Bartender’s Blues

Hinterlasse einen Kommentar