Sex? Nein! Vielleicht! Okay!

Du schaffst das Tom.

Hm.

Sei doch froh, dass du die Lektorin, diese, wie heisst sie nochmal? – Rosa? … äh, mit ihrer penetranten Realismusforderung los bist. Jetzt kannst du dich wieder frei entfalten. Lass deine Fantasie fliegen, lass die Texte tanzen.

Hm.

Bea ließ ihre Beine, die in bordeauxroten Baumwollstrumpfhosen steckten, baumelnd vor- und zurückschaukeln. Nicht das das prinzipiell wichtig gewesen wäre, doch Toms Aufmerksamkeit war nun mal auf diese lässig von ihrem Barhocker runterhängenden Schaukelbeine fokussiert. Auf diese Bewegung, dieses strumpfig Verhüllte, diese durchaus an-sprechenden Formen, die am oberen Ende in einem ziemlich kurzen Röckchen verschwanden. Und unten in grauen Kunstpelzpantöffelchen mündeten, aus denen riesige Mausohren hervorragten, was läppisch aussah. Aber dieses Detail war nun weder wichtig noch in Toms Bewusstsein.

Sie hat dich nicht wirklich gefördert, Tom. Sie wollte mit Hilfe dieses ominösen Ghostwriters noch schnell eine drohende Lücke in der aktuellen Buchproduktion füllen. Das ist doch Fakt.

Hm, ja, nein.

Was, ja, nein? Tom, genau so war’s doch. Ich meine, wenn sie das anders gemeint hätte, wenn ihr was an dem Eva Lund-Projekt gelegen wäre, hätte sie dann nicht anders vorgehen müssen? Ein-fühl-sa-mer? Ich meine, sie ist doch anscheinend eine Frau und schlägt sich mit hunderten von Beziehungsromanen rum. Das ist ihr Job. Wieso sollte sie dann, wenn ihr wirklich was an der Beziehung zu dir als Autor gelegen hätte, warum sollte sie denn das nicht auf die Reihe bringen? Ich sag dir warum. Ich sag dir schon warum. So brutal das jetzt klingt: Die war gar nie wirklich interessiert an deinem Werk. Sie wollte ihr eigenes Ding durchziehen und deine Ideen dazu lediglich ausnützen oder besser gesagt: ausweiden. Ja, so muss es wohl sein. Das ist hart. Aber du weißt, auf mich kannst du immer zählen, Tom. Kannst du dich noch erinnern, wie wir zusammen durch dick und dünn…? Natürlich kannst du das, was für eine dumme Frage. Haha. – Tom, wenn du willst, helfe ich dir, einen neuen Verlag zu finden. Der Notter & Kuhweide Verlag wäre eh zu bieder für deinen Schreibstil gewesen. Gut, sein Renommee wäre ja nützlich für einen Newcomer wie dich, aber wie gesagt…

Bea redete sich gerade mächtig in Fahrt. Noch schien es sie nicht zu stören, dass Tom kaum reagierte. Vielleicht hörte er gar nicht zu? Doch, er hörte ihr schon zu, aber gerade mal so, wie man dem Plätschern eines Bachs lauscht, währenddem das Kopfkino einen ganz andern, fantastischen Streifen abspult.

Seine Gedanken waren auch mit längst Vergangenem beschäftigt. Bea und Tom im Seminar. Es ging um Adorno, worum denn sonst. Er dachte an die gemeinsame Zeit in der WG, im Bett… Er versuchte, die delikatesten Gedanken wegzudrängen. Aber diese hübschen Beine, die bordeauxtrunken vor seinen Augen posierten und herum gaukelten, sie sahen in diesem Kostüm immer noch formschön aus. (Ihm fiel tatsächlich kein anderes Wort als formschön ein…) Tom ertappte sich dabei, wie er den übermächtigen Reflex, nach diesen Schenkeln vor seinen Augen zu greifen gerade noch knapp unterdrücken konnte. Seine Hand schaffte die Kurve noch in sein Gesicht und legte sich über Nase und Mund, als wolle er sich jetzt gleich selbst den Atem nehmen.

…wäre doch das Beste für dich, oder wie siehst du das Tom? Sag doch auch mal was.

Ähm, ja. Sicher, ich meine, meistens hast du völlig Recht. Darauf könnte ich eigentlich bauen. Seine fehlgeleitete Hand wieder auf sein eigen Knie zurückrudernd.

Tom, hast du mir etwa gar nicht zugehört? Ich fass’ es nicht. Mann, wo bist du mit deinen Gedanken.

Bei… ähm, bei deinen Schenkeln.

Bei…?! Spinnst du, Tom?!

Naja, du hast gefragt.

Was ist mit meinen Schenkeln?! Sehen die etwa nicht mehr gut aus, sind sie zu fett geworden, oder was?

Äh, nein, ja, und ob! Ja eben, nur zu gut sehen sie aus, wenn du verstehst.

Tömchen? Soll das etwa ein Anmachversuch sein…? An ein mittelalterliches Hausmütterchen, verheiratet mit genau zwei Kindern, wie es sich gehört?

Hmmm, ähm, hast du noch so einen feinen Espresso, Bea?

Espresso…? Jaja. Sag mal, Tom, du willst doch nicht wirklich was von mir, oder? Ich meine, unsere Zeit, das, das ist doch längst vorbei?

Jaja. Nee, nur den Espresso bitte. Und Tom hatte tatsächlich ziemlich heiße Ohren.

Okay. Bea lachte ihr schallendes Lachen mit diesem leicht irritierenden Klirrfaktor.

Jetzt schlug sie ihre Beine übereinander, also das linke über das rechte und Tom saß natürlich links von ihr, das kann ich auch nicht mehr ändern. Ihr schwarzes Röckchen wurde durch diese Bewegung zurückgeschlagen und gab noch mehr Blick frei auf das linke bordeauxrote Bein, obwohl die Geste eigentlich unmissverständlich „hier ist jetzt Feierabend“ verkündete.

Hm, dennoch eine doppelte Botschaft? Tom rätselte herum, ob sie den Blick bis unters strumpfumspannte Gesäß wohl absichtlich freigegeben hätte. Bea bemerkte seinen Blick und streifte sogleich das widerspenstige Kleidungsstück mit energischer Handbewegung an seinen angemessenen Ort zurück.

Damit war auch diese letzte aller metaphysischen Fragen wohl sehr eindeutig geklärt. Die vorletzte war ja: Warum um Himmels Willen sind Baumwollstrumpfhosen sexy? Darauf wusste Tom keine befriedigende Antwort, allerdings eine hormonelle Störung seinerseits erwägend. Derweil hatten sich ihre Beine zu einem veritablen Knoten verschlungen. Scheinbar unlösbar, aus seiner Sicht jedenfalls. Eine bordeauxrote Trutzburg gegen jegliche Balzversuche.

Warum sie mich in der ganzen Eva Lund-Misere immer noch unterstützen will? Fragte sich Tom, um sich selbst abzulenken. Das blieb ihm ein Rätsel. Hätte sie ihm den Wahnsinn mit der bisher so verunglückten Romanpublikation nicht vielmehr ausreden sollen? Womit sie ihm vielleicht wirklich geholfen hätte.

Und ihr Kaffee schmeckte wie immer hervorragend. Tom schätzte sich einigermaßen glücklich, diesen Kaffee hier in dieser kleinen hübschen Tasse zu halten. Da wurde ihm bewusst, dass er sich an Bea quasi festhielt wie an dieser Kaffeetasse, als könnte sie ihm Schutz bieten in diesen stürmischen Zeiten.

Guter Kaffee, Bea. Welchen nimmst du eigentlich?

Kein Markenkaffee. Den macht ein kleiner Kaffeeröster in Röthershausen, der die Bohnen direkt von einer Finca aus Costa Rica importiert. – Ach Scheiße, Tom, was mach’ ich jetzt bloß mit dir? Gleich kommen übrigens die Kinder von der Schule. Auf einmal begann sie ziemlich aufgeregt auf ihrem Barhocker hin und her zu rutschen und…

Mit mir? Hm, öh, hoppla, jetzt aber…

Jedenfalls wurde ihm nun zweifelsfrei und spürbar klar, dass er die Frauen überhaupt nicht verstand.

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