Master and Commander – Bis zum Anfang der Welt

Hull, was machen wir heute Schönes?

Lass es uns mal ganz ruhig angehen.

Ruhig, okay, Hull.

Und dann? Lisas hilfloser Blick fiel ins Leere.

Es klingelte. Hull schlurfte zur Tür.

Lisa hörte Hulls Begrüssungsworte. Tom, schön, dass du vorbei schaust.

Hallo Hull. Ich bin auch frisch getestet und so negativ wie ich nur sein kann.

Lisa lächelte. Aber als sie Tom sah, gefror ihr Lächeln.

Hallo, Schriftsteller.

Hi, Lisa, was geht ab? Tom fuchtelte mit den Armen, als wolle er zu ihr herüber schwimmen.

Hm.

Okay, okay, Lisa.

Tom, mach’s dir bequem. Was hast du Neues für uns? Hull schob ihm einen Sessel zu.

Nicht viel, eigentlich nichts. Ich leide.

Worunter?

Einer Schaffenskrise…

Da klingelte es schon wieder.

Wer kommt denn jetzt noch? Luca?

Nein, der sicher nicht. Der schaut sich grad die vierte Staffel Monk an.

Die Ganze?

Aber sicher. Er fängt morgens an und lässt nicht locker, bis alle Fälle gelöst sind.

Ich komm gleich wieder. Hull schlurfte erneut zur Tür.

Tom? Du auch? War um die Ecke zu hören.

Lisa und Tom schauten sich an, Lisa schöpfte Hoffnung, Tom kniff seine Augen zusammen.

Tatsächlich erschien Hull nun mit dem sagenumwobenen Yogalehrer in der Tür.

Tom, das ist Tom. Tom, ja, eh…, auch Tom.

Kein Problem, Hull. Wir kennen uns schon.

Okay, gut.

Lisas Blick war fest verschraubt in Yoga-Toms Antlitz. Beinahe vergass sie zu atmen.

Ja, was für eine Überraschung. Oder?

Hm. Nein, Hull. Wir haben uns bei dir verabredet.

Was? Ohne mich zu… Na, egal. Ihr seid immer beide willkommen.

Hull, wir dachten… Ähm, ich glaube wir sollten uns mal grundsätzlich unterhalten, wo wir doch jetzt so schön zusammensitzen. Ich meine, ich bin ganz positiv, da kann ja nichts schief gehen. Yoga-Tom lächelte gekonnt, als sein Blick Lisa streifte.

Aber natürlich, Tom. Das ist eine ausgezeichnete Idee.

Nun. Knurrte Tom. Ich würde mal sagen, seit du, Tom, ja der… Schriftsteller, wie du dich gerne nennst, die Story hier vorgibst, läuft unser Projekt gehörig schief. Die Einschaltquoten für Hulls Labor gehen leider in den Keller. Wir müssen was ändern.

Das würde ich auch sagen, Tom. Ändern ist sehr gut. Wir sollten zunächst von einigen eher schädlichen Sponsorenverträgen zurücktreten und uns von der allzu kommerziellen Ausrichtung verabschieden. Wir müssen unser Projekt, unsere Geschichte, wieder mit Herzblut und echten Gefühlen füllen. Ich hätte da schon einige Ideen…

…Tom, nichts für ungut. Aber du verstehst nicht viel vom Geschäft. TV-Serien funktionieren nur dann, wenn du die Leute richtig abholst, aber so richtig, völlig richtig, also wenn du ihnen den Stoff gibst, der sie willenlos und süchtig macht. Das war von Anfang an mein Konzept. Und dahin müssen wir endlich wieder zurückkommen.

Wohin? Tom. Welcher Stoff denn? Da war doch nichts. Erst als ich Hinterstellar geschrieben habe, sind die Fans ausgeflippt. Vorher war doch gar kein Humor in der Sache drin.

Humor? Spinnst du, Tom. Das war doch kein Humor. Nein, unsere Serie braucht nicht mehr Humor, sondern mehr Spannung. Und davon, mein Lieber, verstehst du leider gar nichts. Wir brauchen einen Krimi, einen Thriller. Ein Mord muss geschehen. Endlich, heute noch. Aber so was kriegst du Pfeife doch nicht auf die Reihe!

Mir reicht’s, Tom. Wer bist du, dass du in dieser Gassensprache…

…Wer ich bin, Tom? Ich bin der Manager. Ohne mich gehen hier die Lichter aus. Kapierst du das? Aber du. Wer bist du? Du Pfeife kannst nicht mal eine simple Allegorie schreiben. So was kann jeder Gymnasiast. Bei dir entgleist jede Szene in ein unentrinnbares Chaos. Keine Struktur, keine Entwicklung, kein Groove. Hast du denn kein Adorno-Seminar besucht? Weisst du nicht was Dialektik ist? Für dich sind Tropen wohl eine ausschliesslich geografische Kategorie. Du kannst nicht mal dem einfachsten Erzählinhalt die passende Form aufstülpen. Du bist hier eine totale Fehlbesetzung.

Schriftsteller-Tom konnte sich nicht mehr auf seinem Sessel zurückhalten und sprang in Richtung Yoga-Tom. Dieser erhob sich ebenfalls und als sich beide vor den Augen Lisas und Hulls berührten – da geschah das Wunder. Zum Glück waren Augenzeugen anwesend, ansonsten hätte dieser bizarre Vorfall möglicherweise niemals aufgeklärt werden können.

Lisa war vollkommen erschüttert. Sie konnte zunächst nicht viel beitragen. Wir vermuten wahrscheinlich schon warum. Hull versuchte es auf seine Weise und wie soll man sagen, sein Bericht über dieses Mysterium klang dennoch reichlich unglaubwürdig. Aber hören wir ihm einmal in Ruhe zu, bevor wir uns ein Urteil bilden:

Ja, das war so. Wir sassen da rum. Die beiden Toms hatten auf einmal Meinungsverschiedenheiten oder so. Viel war da eigentlich gar nicht. Sie redeten von Humor und Mord, was ja durchaus gut zusammen passt, aber bald schon konnte ihnen kein Mensch mehr folgen. Und dann sprangen sie auf und gingen aufeinander los. Und wie soll ich sagen. Ja, da war nur noch ein Blitz. Ein sehr, sehr, sehr heller, greller Blitz. Ein Knall, ein sehr, sehr, sehr lauter… Und ja, dann verkroch sich der Blitz zur Seite und verschwand durch diese Wand da drüben, wie so ein Kugelblitz sich von dannen trollt. Da sehen Sie noch die Spur. Sieht aus wie ein bisschen Russ oder Schiesspulverreste, oder… ich weiss auch nicht.

Und die Toms?

Jaha, und die Toms… Ja, hm, die, die waren weg. Hull schüttelte den Kopf

Wie weg?

Ja, die waren weg. In diesem Blitz verschwunden. Mich erinnert das… natürlich ist das vollkommen verrückt, wissen Sie, aber mich erinnert dieser Vorfall an eine physikalische Theorie.

Physik…wie…?

…Äh, ja. Als wäre der eine Tom negativ und der andere positiv und schwupps!

Der Beamte verdrehte seine Augen. Könnten Sie ein bisschen – präziser werden?

Aber ja. Ich meinte. Hm. Wie beim Urknall. Direkt danach. Verstehen Sie? Materie und Antimaterie vernichteten sich gegenseitig und setzten Energie frei. Sooo etwa hat das ausgesehen. Und wissen Sie was? Es blieb ja anscheinend etwas Materie übrig. Sie und ich und dieser Fussboden sind dieser Rest. Das ist ja bekannt. Also ein bisschen was ist übrig geblieben von dem riesigen Feuerwerk, das jemand oder niemand veranstaltet hat. Man nennt das Symmetrieverletzung, verstehen Sie? Ich meine, dass was übrig bleibt, das ist eine Symmetrieverletzung. Sie verstehen doch? Das war einfach nicht ganz sauber, nicht gut geplant.

Der Polizist musterte Hull genau und man bekam eine leise Ahnung, was er von dessen Geschichte hielt, vor allem wenn man seinen vernichtenden Blick ein wenig interpretierte. Weiter, bitte. Was geschah dann, Herr Hull?

Nichts! Das ist es ja. Die beiden blieben verschwunden. Am Boden habe ich nur noch diesen winzigen Quarkbecher gefunden.

Einen Quarkbecher?

Ja, schauen Sie hier. Der ist neu, der war vorher noch gar nicht da. Hull reichte dem Beamten den kleinen bunten Becher.

Hm. Da steht Beauty drauf.

Jahaha! Genau! Ist das nicht wahnsinnig komisch…?

5 Kommentare zu „Master and Commander – Bis zum Anfang der Welt

  1. Ja, lieber Stefan, danke.
    Sicher hast du die Geschichte sogar besser verstanden als ich. Ich rätsle immer noch ein bisschen dran herum, wie das geschehen konnte.
    LG Hull

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  2. Eigentlich ist die dritte Staffel schon vorbei. Ich meine, so was merkt man ja. Dieser Beitrag war zweifellos der fulminante Schlussakkord. Doch gibt’s noch was zu ergänzen. Nun, so schreib ich halt den Epilog dazu. Ich weiss, ich kann gar nicht schreiben. Mir fehlt das Talent dazu, offensichtlich. Aber ich habe noch was mitzuteilen. Deshalb.

    Schliesslich war ich auch dabei, ich war Augen- und Ohrenzeuge. Jaa, das hat wirklich mächtig geknallt. TUP nennt er das inzwischen nur noch. Genauer will er’s wohl gar nicht mehr aussprechen. War wohl fast zu viel für ihn, den alten Hull. Den ja eigentlich kaum etwas erschüttern konnte. Doch seither, seit diesem TUP, ist die Welt nicht mehr dieselbe, wie er sagt. Was er mit TUP meint? Nun ich glaube, er sagte direkt danach, das sei jetzt ein tomistisches Urknallphänomen gewesen. Das muss es bedeuten, denke ich.

    Hull hat dann, am gleichen Tag noch, von einem Wunder, einem Mysterium gesprochen. Sein Blick war verklärt. Ich hätte nicht sagen können, dass er traurig war. Darüber dass seine beiden Toms abhanden gekommen sind. Oder wie soll ich sagen. Verschwunden? Das Wunder des Verschwindens? Das war sein Problem. Wie sollte ein Wunder als solches anerkannt werden, wenn etwas verschwindet. Ich meine, wo ist der Beweis? Und so hat seine E-Mail, die er dem Papst geschickt hat, mit der Bitte um Anerkennung des TUPs als heiliges Wunder, nicht die erhoffte Antwort gebracht, sondern genau das, was ich sogleich befürchtet habe. Geantwortet hat – nein, leider auch nicht der Papst selbst – immerhin der apostolische Nuntius in Bern. Moment, hier…, hier habe ich seine E-Mail. Ich zitiere:

    Sehr geehrter Herr Hull

    Wir danken für Ihr Schreiben vom 08. April 2021 und dem darin zum Ausdruck gebrachten Vertrauen in die Tätigkeit der römisch-katholischen Kirche und seiner Diener. Leider muss ich Ihrem Anliegen der Heiligsprechung, um mich ganz kurz zu fassen, bereits jetzt eine unwiderrufliche Absage erteilen.

    Wie Sie durchaus zu Recht feststellen, bedarf es zur Heiligsprechung der Feststellung eines Wunders. Nun, leider können Sie für das von Ihnen reklamierte Wunder des tomistischen Urknallphänomens keinen Beweis anführen. Zudem wird aus Ihrer Bitte nicht einmal ersichtlich, wer denn heilig gesprochen werden soll. Sie selbst? Einer der angeblich verschwundenen Toms, oder beide? Oder doch die Frau Lisa, die Sie als Zeugin erwähnen? Diesen eklatanten Mangel hätten Sie doch vermeiden können?

    Insofern bin ich mir gar nicht sicher, ob Ihr Postulat nicht eher ein Scherz darstellen soll? Mit Verlaub: Dann war es ein schlechter. Ich möchte Ihnen dennoch folgenden Rat mit auf den Weg geben: Ein Wunder ist in jedem Falle ein positives, d.h. es bewirkt, dass etwas Zusätzliches auf der Welt erscheint, seien es Blutstropfen bei einer Christusfigur oder Tränen bei einem Marienbildnis oder Ähnliches. Keinesfalls kann ein Wunder in einem Verschwinden von irgendetwas, seien es Dinge oder Personen beruhen. Das ist vollkommen ausgeschlossen. Allein schon die mangelnde Beweisbarkeit schliesst Verschwinden als Wunder aus.

    Ich bedauere, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können.

    Für heute einen herzlichen Gruss

    Thomas Edward Gullickson

    Apostolischer Nuntius der Schweiz und Liechtenstein

    Da haben wir den Salat. Ich meine, ich verliere meinen angebeteten Tom, den Yoga-Lehrer natürlich, nicht den andern Loser. Da bin ich eher froh, bin ich diesen Stalker jetzt los. Und Hull, Hull verliert beim Vatikan. Aber ich denke, er hat es auch falsch herum… naja, hätte die Anerkennung eines Wunders fürs erste nicht gereicht?

    Warum will er gleich heilig gesprochen werden? Klar, das wäre schon cool. Der heilige Hull. Aber das mit dem Beweis, das – au Backe, das ging leider schief. Da war ja dieser kleine Beauty-Quark. Die Symmetrieverletzung! Rief Hull mehrmals, das sei der ultimative Beweis.

    Hätte er ihn mal nicht mir zum Aufheben gegeben. Er sagte sogar noch: Lisa, das ist was ganz Feines. Tja. Sah wirklich einfach zu lecker aus. Ich hab den gleich weggeputzt. Und ein leerer Becher…? Taugt leider nicht als Beweis. Hull meinte noch, man müsse mir sofort den Magen auspumpen. Aber da hab ich dann doch nein gesagt. Ich spiele ja gerne mit, aber es gibt auch Grenzen.

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  3. Lieber Hull
    Da sieht man mal wieder, der Papst, Verzeihung, Mr. Nuntius blickt auch nicht durch. Wie auch? Es sei ihm verziehen. Bleibt zu hoffen, das du nicht auch auf ein Wunder hoffst und verschwindest, es wird bald Frühling, also auf einen Café bei dir?

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    1. Liebe/r Bear

      Man munkelt, der Herr Nuntius müsse gerade seinen Stuhl frei machen. Ich hoffe ja nicht, dass ihm mein Anliegen dabei „geholfen“ hat…

      Hulls Café ist offen, meistens jedenfalls. Es empfiehlt sich, einen Tisch zu reservieren, dann klappt es auch, meistens jedenfalls.

      Bis dann, LG Hull

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